3.8.11

Die Bildung brüderlicher Gemeinschaften

Es ist für mich eine der größten Lebenssorgen, dass es mit dem, was in der Überschrift angesprochen wird, in unserem Zeitalter kaum Fortschritte gegeben hat.

In den über hundert Jahren geisteswissenschaftlicher, theosophischer und anthroposophischer Arbeit
ist Gewaltiges geleistet worden. Auf den praktischen Lebensgebieten von Pädagogik, Landwirtschaft oder Medizin wurden unzählige Einrichtungen begründet. Allerorten arbeiten Menschen in Gruppen zusammen und bemühen sich um ihren geistigen Fortschritt. Das veröffentlichte Schriftgut ist so umfangreich, dass es kaum ein einzelnes Bewusstsein mehr umschließen kann.

Immer wieder wurden und werden auch Versuche unternommen, dass in Gruppen und Gemeinschaften das Prinzip der Brüderlichkeit auch praktisch zum Tragen kommt. Oft scheitern diese Bestrebungen. Wir erleben nach wie vor eine gewisse Dominanz des Individualistischen gegenüber dem Prinzip des Gemeinschaftlichen. Oft täuscht auch das scheinbare Funktionieren einer Gemeinschaft darüber hinweg, dass es doch immer wieder einzelne, führende Menschen sind, die einer Gemeinschaft das Gepräge geben und sie als Form bewahren.

Im Grunde ist noch immer die Dimension der Brüderlichkeit als Teil der geistigen Arbeit nicht so ausreichend erfüllt, dass sie zur Bildung stabiler brüderlicher Gemeinschaften führt. Man hat den Eindruck, dass die Kräfte, die aus der Welt heranbranden, den Individualitäten das selbstlose Aufgehen im Gemeinschaftlichen schwer machen. Denn ein gewisses Maß an Selbstlosigkeit ist eine Grundbedingung für das Gelingen einer Gemeinschaft. Außerdem leben hartnäckig bestimmte Urteile, was z.B. den Wert der eigenen Meinung, die Bedeutung von Kritik oder den Umgang mit dem Gegner angeht, auch in den Seelen vieler geistig strebender Menschen. Solche Urteile erschweren eine Gemeinschaftsbildung.

Im Jahre 1905 hält Rudolf Steiner einen Vortrag über die Brüderlichkeit und das Bilden von Bruderschaften (GA 54, alle folgenden Zitate stammen aus dem Vortrag VIII. Bruderschaft und Daseinskampf, Berlin, 23. November 1905 ab Seite 179).

 „Der geisteswissenschaftlich Strebende ist überzeugt, und nicht nur überzeugt, sondern sich ganz klar darüber, dass die tiefe Erkenntnis, die Erkenntnis der geistigen Welt, wenn sie wahrhaft und wirklich den Menschen ergreift, zur Bruderschaft führen muss, dass die edelste Frucht tiefer, innerster Erkenntnis eben diese Bruderschaft ist.“


Rudolf Steiner stellt in diesem Vortrag das Prinzip der Brüderlichkeit dem darwinistischen Dogma vom „Kampf ums Dasein“ und dem Prinzip der Konkurrenz gegnüber.

 „Es wird gerade in gewissen Kreisen immer wieder und wieder auf die fortschrittlich wirkende Kraft des Kampfes hingewiesen, und wie oft können wir es heute noch hören, dass des Menschen Kräfte wachsen am Widerstand, dass der Mensch stark wird an Willen und intellektueller Initiative dadurch, dass er seine Kräfte an dem Gegner messen muss.“

Rudolf Steiner weist dann darauf hin, wie es in unserer mitteleuropäischen Geschichte immer wieder brüderliche Organisationsformen waren, die den eigentlichen Kulturfortschritt bewirkt haben:

„Wir finden dieses Prinzip der Bruderschaft vor allen Dingen in der Art und Weise ausgebildet, wie in den Zeiten vor und nach der Völkerwanderung der Besitz geregelt war. In ausgedehntestem Maße gab es da einen Gemeinbesitz an Grund und Boden. Die Dorfmark,in welcher die Menschen beisammen wohnten, hatte einen gemeinsamen Grundbesitz, und mit Ausnahme des wenigen, was unmittelbar zum Hausgebrauch gehört, mit Ausnahme der Werkzeuge, vielleicht auch eines Gartens, war alles, was Besitz war, gemeinschaftlich. Von Zeit zu Zeit wurde der Grund und Boden von neuem wieder unter den Menschen aufgeteilt, und es zeigte sich, dass diese Stämme dadurch stark geworden waren, dass sie die Bruderschaft in Bezug auf materielle Güter bis zu einer außerordentlichen Höhe getrieben hatten.“


Dann etwas später:


„Wenn wir einige Jahrhunderte weitergehen, finden wir, dass dieses Prinzip uns in außerordentlich fruchtbringender Weise entgegentritt. Das Prinzip der Bruderschaft, wie es ausgeprägt ist in der alten Dorfmark, in den alten Zuständen, wo die Menschen ihre Freiheit im brüderlichen Zusammenleben fanden, drückte sich besonders charakteristisch darin aus, dass man so weit ging, das, was der einzelne besaß, bei seinem Tode auf seinem Grunde zu verbrennen, weil man nichts, was einem einzelnen als Einzelbesitz gehörte, nach dem Tode desselben besitzen wollte. Als mit diesem Prinzip gebrochen worden war infolge verschiedener Verhältnisse, namentlich weil einzelne sich Großgrundbesitz angeeignet hatten und die Menschen in der umliegenden Gegend dadurch zur Leibeigenschaft und zu Frondiensten gezwungen waren, da machte sich das Prinzip der Bruderschaft in einer andern, leuchtenden Weise geltend.“


 Es folgte historisch die Bildung von Handwerker-Gilden:

„Diejenigen, welche gemeinschaftliche, gleichartige Beschäftigungen hatten, schlossen sich zu Vereinigungen zusammen, die man Schwurbruderschaften nannte und die später zu den Gilden auswuchsen. Diese Schwurbruderschaften waren weit mehr als bloße Vereinigungen der gewerblichen oder handeltreibenden Menschen. Sie entwickelten sich aus dem praktischen Leben heraus zu einer moralischen Höhe. Das gegenseitige Sich-Beistehen, die gegenseitige Hilfeleistung war in hohem Maße bei diesen Bruderschaften ausgebildet, und viele Dinge, um die sich heute fast niemand mehr kümmert, waren Gegenstand solchen Beistandes. So leisteten sich zum Beispiel die Angehörigen einer solchen Bruderschaft in der Weise Hilfe, dass sie sich in Krankheitsfällen unterstützten. Es wurden von Tag zu Tag zwei Brüder bestimmt, die am Bette eines kranken Bruders Wache halten mussten. Es wurden die Kranken mit Nahrungsmitteln unterstützt, ja es wurde selbst über den Tod hinaus brüderlich gedacht, indem es als ganz besonders ehrenvoll galt, den zur Bruderschaft Gehörigen in entsprechender Weise zu begraben. Endlich gehörte es auch zur Ehre der Schwurbruderschaft, die Witwen und Waisen zu versorgen. Daraus sehen Sie, wie ein Verständnis für die Moral im Gemeinschaftsleben erwuchs, wie sich diese Moral auf dem Grunde eines Bewußtseins bildete, von dem sich der heutige Mensch schwer eine Vorstellung machen kann. Glauben Sie nicht, dass hier in irgendeiner Weise die gegenwärtigen Verhältnisse getadelt werden sollen. Sie sind notwendig geworden, so wie es auch nötig gewesen ist, dass die mittelalterlichen Verhältnisse in ihrer Art zum Ausdrucke gekommen sind. Verstehen müssen wir nur, dass es auch andere Phasen der Entwickelung gab als die heutige.“


Er schildert dann den menschlichen Organismus, wo die Abermillionen Zellen alle in sinnvoller Weise zusammen arbeiten. Das höhere Wesen der menschlichen Seele findet in diesem Zusammenwirken seinen Ausdruck. Wenn nun einige Menschen zusammenkommen, so können sie auch eine Gemeinschaft bilden, in der ein Höheres seinen Ausdruck finden kann:

„Aber niemals könnte die menschliche Seele hier auf Erden wirken, wenn nicht diese Millionen kleiner Wesen ihre Selbstheit aufgeben und sich in den Dienst des großen, gemeinsamen Wesens stellen würden, das wir als die Seele bezeichnen.“

Fünf Menschen, die zusammen sind, harmonisch miteinander denken und fühlen, sind mehr als 1 + 1 + 1 + 1 + 1 sie sind nicht bloß die Summe aus den fünf, ebensowenig wie unser Körper die Summe aus den fünf Sinnen ist, sondern das Zusammenleben, das Ineinanderleben der Menschen bedeutet etwas ganz Ähnliches, wie das Ineinanderleben der Zellen des menschlichen Körpers. Eine neue, höhere Wesenheit ist mitten unter den fünfen, ja schon unter zweien oder dreien. «Wo zwei oder drei in meinem Namen vereinigt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» Es ist nicht der eine und der andere und der dritte, sondern etwas ganz Neues, was durch die Vereinigung` entsteht. Aber es entsteht nur, wenn der einzelne in dem andern lebt, wenn der einzelne seine Kraft nicht bloß aus sich selbst, sondern auch aus den andern schöpft. Das kann aber nur geschehen, wenn er selbstlos in dem andern lebt.“


 Damit sich eine solche brüderliche Gemeinschaft bilden kann sind verschiedene Voraussetzungen nötig:

 1. Der Gegner wird nicht mehr bekämpft, man tritt nur positiv für das eigene Ideal ein.
„Es möchte wohl ein jeder gerne wissen, wie man Daseinskampf und Bruderliebe miteinander vereinigt. Das ist sehr einfach. Wir müssen lernen, den Kampf durch positive Arbeit zu ersetzen, den Kampf, den Krieg zu ersetzen durch das Ideal. Man versteht heute nur noch zu wenig, was das heißt. Man weiß nicht, von welchem Kampf man spricht, denn man spricht im Leben überhaupt nur noch von Kämpfen. Da haben wir den sozialen Kampf, den Kampf um den Frieden, den Kampf um die Emanzipation der Frau, den Kampf um Grund und Boden und so weiter, überall, wohin wir blicken, sehen wir Kampf.
Die geisteswissenschaftliche Weltanschauung strebt nun dahin, an die Stelle dieses Kampfes die positive Arbeit zu setzen. Derjenige, der sich eingelebt hatte in diese Weltanschauung, der weiß, dass das Kämpfen auf keinem Gebiete des Lebens zu einem wirklichen Resultate führt. Suchen Sie das, was sich in Ihrer Erfahrung und vor Ihrer Erkenntnis als das Richtige erweist, in das Leben einzuführen, es geltend zu machen, ohne den Gegner zu bekämpfen.“

2.Man macht sich zum Diener der Mitglieder der Gemeinschaft

„Derjenige wirkt am besten, der nicht seine Meinung durchsetzen will, sondern das, was er seinen Mitbrüdern an den Augen ansieht; der in den Gedanken und Gefühlen der Mitmenschen forscht und sich zu deren Diener macht. Der wirkt am besten innerhalb dieses Kreises,..der die eigene Meinung (zurückzustellen kann).... Wenn wir in dieser Weise zu verstehen suchen, dass unsere besten Kräfte aus der Vereinigung entspringen und dass die Vereinigung nicht bloß als abstrakter Grundsatz festzuhalten, sondern vor allen Dingen in theosophischer Weise bei jedem Handgriffe, in jedem Augenblicke des Lebens zu betätigen ist, dann werden wir vorwärtskommen. Wir dürfen nur keine Ungeduld haben in diesem Vorwärtskommen.“

3.Man hört einander zu

 „Unterdrücken müssen wir also unsere Meinung, um den andern ganz zu hören, nicht bloß das Wort, sondern sogar das Gefühl, auch dann, wenn sich in uns das Gefühl regen sollte, dass es falsch ist, was der andere sagt. Es ist viel kraftvoller, zuhören zu können, solange der andere spricht, als ihm in die Rede zu fallen. Das gibt ein ganz anderes gegenseitiges Verständnis. Sie fühlen dann, wie wenn die Seele des andern Sie durchwärmte, durchleuchtete, wenn Sie ihr in dieser Weise mit absoluter Toleranz entgegentreten. Nicht bloß Freiheit der Person sollen wir gewähren, sondern völlige Freiheit, ja sogar die Freiheit der fremden Meinung sollen wir schätzen."


 4.Wir üben, uns Gedanken der Freundschaft und Liebe zuzusenden:

„Jeder mag sich darin ausbilden, wenn er Zeit dazu findet, seinen Lieben Gedanken der Liebe und Freundschaft zuzusenden. Der Mensch hält das gewöhnlich für etwas Bedeutungsloses. Aber wenn Sie einmal dahin gelangen, einzusehen, dass der Gedanke ebenso gut eine Kraft ist wie die elektrische Welle, die von einem Apparat ausgeht und zum Empfangsapparat überströmt, dann werden Sie auch das Bruderschaftsprinzip besser verstehen, dann wird allmählich das gemeinschaftliche Bewusstsein deutlicher, dann wird es praktisch.“




„Von diesem Gesichtspunkt aus können wir uns klar darüber werden, wie die geisteswissenschaftliche Weltanschauung den Daseinskampf und das Bruderschaftsverhältnis auffasst. Wir wissen ganz genau, dass mancher, der an diesen oder jenen Platz im Leben gestellt ist, einfach unterginge, wenn er nicht mit den Wölfen heulen würde, wenn er diesen Daseinskampf nicht ebenso grausam führen würde wie viele andere. Für denjenigen, der materialistisch denkt, gibt es fast kein Entrinnen aus diesem Daseinskampf. Wir sollen zwar an dem Platze unsere Pflicht tun, an den uns das Karma hingestellt hat. Wir tun aber das Richtige, wenn wir uns klar sind, daß wir viel mehr leisten würden, wenn wir darauf verzichteten, in der unmittelbaren Gegenwart die Erfolge zu sehen, die wir erreichen wollen. Bringen Sie es übers Herz, wenn Sie vielleicht mit blutender Seele im Daseinskampfe stehen, demjenigen, dem Sie wehe getan haben im Daseinskampfe, in liebevoller Gesinnung von Seele zu Seele Ihre Gedanken zuströmen zu lassen, dann werden Sie als Materialist vielleicht denken, Sie haben nichts getan. Nach diesen Auseinandersetzungen aber werden Sie einsehen, dass dies später seine Wirkung haben muss, denn nichts, das wissen wir, ist verloren, was im Geistigen vorgeht.
So können wir manchmal mit zagender Seele, mit Wehmut im Herzen den Daseinskampf aufnehmen und durch unsere Mitarbeit denselben umwandeln. So in diesem Daseinskampfe arbeiten, heißt in praktischer Beziehung den Daseinskampf ändern. Nicht von heute auf morgen ist das möglich, aber daß wir es können, ist außer allem Zweifel. Wenn wir an der eigenen Seele im Sinne der Bruderliebe arbeiten, dann nützen wir dadurch, daß wir uns nützen, am meisten der Menschheit, denn wahr ist es, dass unsere Fähigkeiten entwurzelt sind wie eine aus dem Boden gerissene Pflanze, wenn wir im selbstischen Sondersein verharren. So wenig ein Auge noch ein Auge ist, wenn es aus dem Kopfe gerissen wird, so wenig ist eine menschliche Seele noch eine Menschenseele, wenn sie sich von der menschlichen Gemeinschaft trennt. Und Sie werden sehen, dass wir unsere Talente dann am besten ausbilden, wenn wir in brüderlicher Gemeinschaft leben, dass wir am intensivsten leben, wenn wir im Ganzen wurzeln. Freilich müssen wir abwarten, bis das, was Wurzel schlägt im Ganzen, durch stille Einkehr in sich selbst zur Frucht reift.“



„Geben wir uns in der Bruderschaft auf, so ist dieses Aufgeben, dieses Aufgehen in der Gesamtheit eine Stählung, eine Kräftigung unserer Organe. Wenn wir dann als Mitglied einer solchen Gemeinschaft handeln oder reden, so handelt oder redet in uns nicht die einzelne Seele, sondern der Geist der Gemeinschaft. Das ist das Geheimnis des Fortschritts der zukünftigen Menschheit, aus Gemeinschaften heraus zu wirken.“


 Beginnen wir solche Brüderlichkeit zu üben und neue Gemeinschaften mit einem Menschen, mit zweien, mit dreien oder mit mehreren Menschen zu bilden!

29.7.11

Das war wirklich die Überschrift in der Zeitung:


"Die Blondhaarigen und die Neger"


Heute fand ich diesen Zeitungsartikel in der Braunschweiger Zeitung vom Samstag, 08.09.2007 wieder. Das sog. Interview fand damals telefonisch statt. Es ist etwas Furchtbares, wie Journalisten die Aussagen färben können und man sich dadurch ganz verzerrt dargestellt findet. Aber dennoch kann man Interviews nicht vermeiden. Gibt man sie nicht, steht die Sache noch schlechter da :

"War Rudolf Steiner Rassist? – Keine Indizierung, aber der Streit um den Gründer der Waldorf-Schule geht weiter
Von Martin Jasper

Dunkelhäutige Menschen waren Rudolf Steiner nicht geheuer. Sie saugten alles Licht und alle Wärme aus dem Weltraum auf, vermutete er. Neger hätten ein starkes Triebleben, denn "im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht."


Entsetzt ist Steiner, als er in einer Basler Buchhandlung einen "Negerroman" entdeckt. Zwar sei er "greulich langweilig", aber doch gefährlich. Und nun entwickelt der Begründer der Anthroposophie ein originelles Szenario für den Untergang des Abendlandes: "Wir geben diese Negerromane schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen: da entstehen durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben, die mulattenähnlich aussehen werden."

Sorgen bereitet das dem weißen Mann, denn: "Die Menschen würden ja, wenn die Blondhaarigen und Blauäugigen aussterben, immer dümmer werden."

Zwischentitel:"Er schwimmt mit im rassistischen Denken"

Nun könnte man derlei Überlegungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als längst vergessene Kruditäten abtun. Doch im Geiste Rudolf Steiners werden bis heute die Waldorfschulen geführt, werden Heranwachsende unterrichtet.

Der Streit um den angeblichen oder tatsächlichen Rassismus Steiners ist nicht neu. Doch nun hat sich das Bundesfamilienministerium eingeschaltet. Es stellte bei der Bundesprüfstelle den Antrag, zwei Bücher Steiners auf den Index jugendgefährdender Schriften zu setzen.

Die Prüfstelle folgte dem Antrag nicht. Bestimmte Passagen seien durchaus als "rassistisch" zu werten, sagte deren stellvertretende Vorsitzende Petra Meier. Der betroffene Verlag habe aber zugesagt, diesen Bedenken Rechnung zu tragen und die Bücher durch kommentierte Neuauflagen zu ersetzen.

Beendet ist der Streit damit freilich nicht. Helmut Zander, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, der eine wissenschaftliche Untersuchung zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung verfasst hat, ist zwar gegen die Indizierung Steiners. Aber er fordert, dass sich die Anthroposophen endlich kritisch mit dessen Lehre auseinandersetzen müssten:

"Er ist auch in der Evolutionslehre ein Kind des 19. Jahrhunderts. Er schwimmt in diesem Typus des rassistischen Denkens mit. Er hat geglaubt, dass sich die Menschen von einem sehr primitiven Zustand empor entwickeln. Und dabei gibt es in seiner Vorstellung eben degenerierte Rassen und solche, die diese Entwicklung nicht mitgemacht haben. Das halte ich für keinen Ausrutscher, sondern für einen zentralen Teil seiner Weltanschauung."

Zugunsten der Anthroposophen merkt Zander aber an, dass dies Gedankengut bei ihnen nicht wie im völkischen Milieu zur zentralen Botschaft gemacht worden sei. "Gleichwohl tun sie sich schwer, sich davon zu distanzieren."Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, fordert zur Distanzierung auf. Denn noch gehöre Steiner mit all seine Facetten zur pädagogischen Grundlage der Waldorfschulen.

Zwischentitel "Diese Aussagen waren nie Thema im Unterricht"

Dies bestreitet Dieter Centmayer entschieden. Der Braunschweiger Waldorf-Pädagoge erklärt: "Die Zitate stammen aus ganz abgelegenen Vortragswerken Steiners, die niemand mehr liest. Sie kommen weder in der Lehrerausbildung noch im Waldorf-Unterricht vor. Die Aussagen über Rassen sind nicht und waren nie Inhalt des Unterrichts."

Man müsse Steiners umstrittene Äußerungen aus der Zeit heraus begreifen: "Vor 100 Jahren sprach man eben noch ganz anders über Afrikaner, Asiaten oder Indianer. Heute würde er gewiss nicht mehr so reden."

Centmayer vergleicht das mit Martin Luther: "Wenn man aus heutiger Perspektive liest, was der über jüdische Menschen gesagt hat, dann gehörte die evangelische Kirche verboten!"

In Steiners Riesenwerk gebe es sehr viel häufiger Stellen, in denen er erklärt, in Zukunft gäbe es die Frage der Rassen und Nationen gar nicht mehr. "Das sind bei ihm nur noch Reste einer alten Menschheitsentwicklung. Die Menschheit ist in seiner Sicht auf dem Weg, sich zur Einheit und Gleichwertigkeit zu entwickeln."

27.7.11

"Wenn alle untreu werden..."

In vielen Begegnungen in letzter Zeit auch mit Freunden und Bekannten erlebe ich etwas,was mich immer wieder erinnert an das Novalis-Gedicht "Wenn alle untreu werden, so bleib ich dir doch treu..." Es geht dabei um ihr Verhältnis zur Anthroposophie und zu Rudolf Steiner.

Das drängte mich, das Novalis-Gedicht umzuschreiben:

Wenn viele, die dich kennen
und deinen Namen nennen,
doch schließlich untreu werden,
im Zeitengang auf Erden,
So bleib' ich dir doch treu,
von Dank erfüllt ich sei.

Von Liebe nur durchdrungen
Hast du so viel getan,
nun ist dein Wort verklungen
heut stehen wir allein.

Du stehst voll treuer Liebe
im Geist dein'n Schülern bei;
dass täglich sie sich üben,
ihr Herzensstreben sei.

Ich habe dich gefunden,
O, lasse nicht von mir;
Lass innig mich verbunden
im Leben sein mit dir.

Einst schauen meine Brüder
Auch wieder himmelwärts,
beschämt blicken sie nieder,
jetzt fühlen sie ihr Herz.

_____________________________________________________________

Nachwort:

Ich denke, dass es keine Minderung des Anliegens von Novalis ist, der in seinem Gedicht ja den großen Christus-Erden-Geist anspricht. Denn Rudolf Steiner war ja selbst diesem Gottesgeist aufs innigste verbunden. Dieser wirkte ja durch ihn hindurch.

_____________________________________________________________

Nun noch das ursprüngliche Gedicht:

Wenn alle untreu werden,
so bleib' ich dir doch treu;
Dass Dankbarkeit auf Erden
Nicht ausgestorben sei.
Für mich umfing dich Leiden,
Vergingst für mich in Schmerz;
Drum geb' ich dir mit Freuden
Auf ewig dieses Herz.

Oft muß ich bitter weinen,
dass du gestorben bist,
Und mancher von den Deinen
Dich lebenslang vergißt.
Von Liebe nur durchdrungen
Hast du so viel getan,
Und doch bist du verklungen,
Und keiner denkt daran.

Du stehst voll treuer Liebe
Noch immer jedem bei;
Und wenn dir keiner bliebe,
So bleibst du dennoch treu;
Die treuste Liebe sieget,
Am Ende fühlt man sie,
Weint bitterlich und schmieget
Sich kindlich an dein Knie.

Ich habe dich empfunden,
O! lasse nicht von mir;
Lass innig mich verbunden
Auf ewig sein mit dir.
Einst schauen meine Brüder
Auch wieder himmelwärts,
Und sinken liebend nieder,
Und fallen dir ans Herz.

13.7.11

Bedeutung der Übergänge

Die ahrimanischen Mächte leugnen im Irdischen, dass der Mensch Geist und Seele besitze. Dafür bleiben ihnen nach dem Tode des Menschen auch nur die physischen Leiber. Diese zerfallen ihnen zu Asche. Sie bekommen ein Nichts.

Die luziferischen Mächte leugnen den physischen Leib. Sie wollen nur das Geistige. Sie verkennen, dass der Mensch sich bei der Geburt ganz mit dem Erdenleib verbindet. Er verbirgt sich darin gewissermaßen vor dem Geist. Diesen Mächten, die das Physische verleugnen, verbleibt als Herrschaftsbereich nur ein wolkig, neblig undifferenziertes göttliches All.

Im Erdenleben ist der Mensch zu physisch, im Nachtodlich-Vorgeburtlichen zu geistig. Nur in den Übergängen gibt es eine Ausgewogenheit; im Geborenwerden und im Todesvergehen. So wie bei der Morgen- und Abendröte sich die Farbe am herrlichsten offenbart. Sie ist das Kind der Vermählung von Licht und Finsternis.

In allen Lebenssituationen, wo es Übergänge gibt, wo etwas stirbt oder entsteht, da sind wir der Mitte, der Ausgewogenheit, unserem wahren Menschsein am nächsten.

Im kleinen Kind oder kurz vor dem Geborenwerden des Kindes erleben wir den Geist am stärksten; beim Sterbenden oder gerade Verstorbenen erleben wir die Herrlichkeit des Leiblichen, die in der beginnenden Auflösung ihr Wunder zur Offenbarung bringt.


Das Wesen, das wir als Christus Jesus bezeichnen erscheint im Sein als Gott und als Mensch. Dadurch stellte es die Ausgewogenheit im Weltenprozess wieder her.

6.7.11

Natur und Technik

Waches Bewusstsein und Logik

Das Eine ist die Faszination und Macht der Maschine und der Technik, die ihre Ausprägung heute besonders in der Computertechnologie u.ä. findet. Sie lässt mich nicht frei, sie ist stärker als ich. Sie bleibt außerhalb meinerselbst. Sie nimmt mich nicht auf. Sie bleibt meinem Wesen fremd. Sie wirkt von außen auf mich.
Sie ist die notwendige Folge eines überstark erwachten Bewusstseins und einer mathematischen Logik, die alles durchdringt.





Schlaf und Kraft

Das Andere ist die Sehnsucht nach Natur, nach dem Fremden und Unbekannten, nach dem, worin noch etwas aus alten, vergangenen Zeiten lebt.
Man sucht etwas, wo die Träume oder der Schlaf der Welt noch zu finden sind. Hier empfindet man einen Zufluss an Kraft. Diese Kraft strömt von außen zu mir.
Hier fühle ich mich wie in den warmen Mutterschoß der Natur aufgenommen. Ich kann mich verbinden. Aber ich kann es nur schwer gedanklich erfassen. Ich stehe vor Wundern.
Ich erlebe aber auch, dass ich kein Naturmensch mehr bin und sein kann. Meine wahre Heimat ist die Natur nicht mehr. Nur das Tier ist voll mit seiner Naturumgebung verbunden.
Und je stärker und ursprünglicher das Naturhafte wirkt, desto mehr drängt es mich in eine Art bewusstseinsmäßigen Schlafzustand.

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Die Mitte

Der Mensch pendelt unruhig und zwischen diesen Polen hin und her. Er lebt in Spannung zwischen diesen Extremen. Er kann Sinn und Frieden nicht finden. Er kann die beiden Pole nicht zusammenführen. Er fühlt sich zerrissen.
Der Mensch kann sich als Mensch nur in etwas Mittlerem beheimatet fühlen. In dieser Mitte müssen die Kräfte, die hinter der Natur und hinter der Technik stehen, ihren Ausgleich finden. Es müssen das wache Bewusstsein und die naturhafte Kraft sich vereinigen können.

Diese mittlere Qualität findet der Mensch in der geistigen Aktivität. Wobei schon in dem Begriff "geistige Aktivität" die Polarität zum Ausdruck und zugleich auch zum Ausgleich kommt: "geistig" weist auf das Bewusstsein hin; "Aktivität" auf den Kraftanteil.
Und noch gesteigerter erlebt der Mensch die Mitte in der Bemühung um eine vertiefte Meditation bei wachem Bewusstsein.





Kraft und Weisheit im Inneren

Was mir vorher die Natur und das ihr noch Verwandte als Kraft zuströmen ließen, strömt mir nun als Kraft durch meine eigene innere Aktivität zu.
Die Bewusstseinsklarheit und Faszination, die früher über die Technik wie eine Macht auf mich wirkte, finde ich wieder im erkenntnismäßigen Erleben der Weisheit, die alles Sein wie ein helles Licht durchströmt. Ich erschaffe diese Weisheit durch Erkenntnis in mir selbst.
Die Kräfte, die früher von außen mein Leben bestimmten, quellen in neuer und verwandelter Weise mir nun von innen zu.
Es hat sich umgestülpt.

15.1.11

Fragen zur Reinkarnation II

Rudolf Steiner

SIND AUFEINANDERFOLGENDE INKARNATIONEN ÄHNLICH?

Erstveröffentlichung: „Lucifer-Gnosis“, Nr. 19, Dezember 1904 – Fragenbeantwortung (GA Bd. 34, S. 373-374) 

Eine zweite Frage ist die folgende: 
«Sind zwei aufeinanderfolgende Inkarnationen eines Menschen einander ähnlich, so dass zum Beispiel ein Architekt wieder als Architekt, ein Musiker als Musiker geboren wird?» Das kann der Fall sein, muss es aber durchaus nicht. Es kommt solche Ähnlichkeit allerdings vor; sie ist aber keines Wegs die Regel. Man kommt auf diesem Gebiete leicht zu falschen Vorstellungen, weil man über die Gesetze der Wiederverkörperung sich Gedanken macht, die zu sehr an Äußerlichkeiten hängen. Jemand liebt zum Beispiel südliche Gegenden und glaubt deshalb: er müsse in einem früheren Leben ein Südländer gewesen sein. Solche Neigungen aber berühren den Ursachenkörper gar nicht. Sie haben überhaupt so unmittelbar nur für das eine Leben eine Bedeutung. Was von einer Verkörperung in die andere hinüberwirkt, muss tiefer im Wesenskern des Menschen sitzen. Man nehme zum Beispiel an: jemand sei in einem Leben Musiker. In den Ursachenkörper hinein reichen die geistigen Harmonien und Rhythmen, die sich in Tönen ausleben. Die Töne selbst gehören dem äußeren physischen Leben an. Sie sitzen in den Teilen des Menschen, die entstehen und vergehen. Der Kama-Manas-Leib (die Verstandes- oder Gemütsseele), der einmal für Töne der geeignete Apparat ist, kann es in einem nächsten Leben für die Anschauung von Zahlen- und Raumverhältnissen sein. Und aus dem Musiker kann ein Mathematiker werden. Gerade durch diese Tatsache macht sich der Mensch im Laufe seiner Verkörperungen zu einem allseitigen Wesen, indem er durch die mannigfaltigsten Lebensbetätigungen durchgeht. Aber es gibt, wie gesagt, Ausnahmen von dieser Regel. Und diese sind dann aus den großen Gesetzen der geistigen Welt erklärlich.

Fragen zur Reinkarnation

Rudolf Steiner

WIEDERVERKÖRPERUNG – IM HILFLOSEN KINDE?

Erstveröffentlichung: „Lucifer-Gnosis“, Nr. 19, Dezember 1904 – Fragenbeantwortung (GA Bd. 34, S. 373-374)

Es wird folgende Frage vorgelegt: «Kann man es nach der Lehre von Wiederverkörperung und Karma verstehen, dass eine hochentwickelte Menschenseele in einem hilflosen, unentwickelten Kinde wiedergeboren wird? Für viele hat doch der Gedanke etwas Unerträgliches und Unlogisches, immer wieder und wieder bei der Kindheitsstufe anfangen zu müssen.»

Wie der Mensch sich in der physischen Welt betätigen kann, das hängt ganz von den physischen Werkzeugen ab, die er hat. Höhere Ideen zum Beispiel können in dieser Welt nur zum Ausdruck kommen, wenn ein vollentwickeltes Gehirn vorhanden ist. So wie der Klavierspieler warten muss, bis ihm der Klavierbauer das Klavier so weit fertiggestellt hat, dass er auf demselben seine musikalischen Ideen wiedergeben kann, so muss die Seele warten mit ihren im früheren Leben erworbenen Fähigkeiten, bis die Kräfte der physischen Welt die körperlichen Organe so weit ausgebaut haben, dass sie ein Ausdruck dieser Fähigkeiten werden können. Die Naturkräfte müssen ihren Weg, die Seele auch den ihrigen gehen. Nun ist aber allerdings vom Anfange des Menschenlebens an ein Zusammenarbeiten der Seelen- und der Körperkräfte vorhanden. Die Seele wirkt in dem noch schmieg- und bieg-samen Kindeskörper aber so, dass dieser später ein Träger derjenigen Kräfte werden kann, die in früheren Lebensperioden erworben worden sind. Es ist ja durchaus notwendig, dass sich der wiedergeborene Mensch den neuen Lebensverhältnissen erst anpasse. Würde er einfach mit allem früher Erworbenen in einem neuen Leben auftreten, so würde er zu der umgebenden Welt nicht passen. Er hat ja seine Fähigkeiten und Kräfte unter ganz anderen Verhältnissen in einer ganz anderen Umwelt erworben. Er wäre, wenn er einfach in seinem früheren Zustande in die Welt eintreten wollte, ein Fremdling in derselben. Die Kindheitsperiode ist dazu da, den Einklang hervorzubringen
zwischen den alten Verhältnissen und den neuen. Wie würde sich ein noch so kluger Mensch der alten Römerzeit in unserer Welt ausnehmen, wenn er mit seinen erworbenen Kräften einfach in diese Welt hineingeboren würde? Eine Kraft kann erst dann angewendet werden, wenn sie sich mit der Umwelt in Harmonie gesetzt hat. Wenn zum Beispiel ein Genie geboren wird, so liegt schon die geniale Kraft im innersten Wesenskern des Menschen, den man auch den Ursachenkörper nennt. Der niedere Geistkörper (Kama manas, die Verstandesseele) und der Gefühls - und Empfindungskörper (Astralleib) sind aber anpassungsfähig, in einem gewissen Grade unbestimmt. Diese beiden Teile der menschlichen Wesenheit werden nun ausgearbeitet. Dabei wirkt von innen heraus der Ursachenkörper, von außen die Umgebung. Wenn diese Arbeit geleistet ist, dann können diese beiden Teile Werkzeuge der erworbenen Kräfte 
sein. - Es ist demnach weder etwas Unlogisches, noch etwas Unerträgliches in dem Gedanken, als Kind geboren zu werden. Unerträglich wäre es vielmehr, als fertiger Mensch in eine Welt hineingeboren zu werden, in der man ein Fremdling ist.

Aus: Lucifer-Gnosis:

Meditation

Frage: 

Du strebst nach Selbsterkenntnis? Wird dein sogenanntes Selbst für das Ganze der Welt morgen mehr bedeuten als heute, wenn du es erkannt hast?

Erste Antwort: 

Nein, wenn du morgen nichts anderes bist als heute, und dein Erkennen von morgen nur dein Sein von heute wiederholt.

Zweite Antwort:
Ja, wenn du morgen ein anderer bist als heute, und dein neues Sein von morgen die Wirkung deines Erkennens von heute ist 


(GA 34, S.33)