Seit gut drei Jahren trifft sich unser Anthroposophischer Gesprächskreis wöchentlich. Zur Zeit sind wir elf Menschen, die donnerstags
im Braunschweiger Zweigraum zusammentreffen. Wir sind überwiegend
Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft. Viele haben ihr Leben
lang intensiv Anthroposophie erarbeitet.
Rudolf Steiner äußerte einmal, dass
für eine esoterische Entwicklung auch der Gesichtspunkt der
Brüderlichkeit unabdingbar sei. In schwesterlicher und brüderlicher
Gesinnung zusammen sich um das Geistige zu bemühen, das ist unser
Herzensanliegen. Um uns diesem Ziel anzunähern, wollen wir nur nicht
das Wissen und die Erkenntnisbildung, die den Kopfpol ansprechen,
allein in den Vordergrund stellen, sondern wir wollen, dass das
Fühlen, das fühlende Erleben auch seinen entsprechenden Stellenwert
bekommt. Anthroposophie wird individuell in jedem einzelnen Menschen,
indem sie vom Kopf in das Herz hinunter wandert und dort wahrgenommen
wird. So entsteht das neue Herzenswissen, aufgeschlossen für alles
Weltliche und Menschliche, hinabströmend in den handelnden Willen.
Diese Gleichwertigkeit des Kopfmenschen
mit dem Herzensmenschen bedingt bei uns auch, dass die Gruppe keinen
Leiter hat. Das Herzenswesen findet seinen Ausdruck in den Armen, die
sich zur Seite in die Weite breiten können. Der Kopf dagegen steht
und bleibt für sich. Mit den Armen können wir einen Mitmenschen
umarmen, wir reichen ihm die Hände, wir können einen Kreis bilden
und uns an den Händen fassen. Wir legen auch für unsere Arbeit
gewöhnlich kein Buch oder keinen Zyklus zugrunde, wodurch der
Inhalt der Begegnung schon längerfristig vorgegeben wäre. - Was
nicht heißen soll, dass wir in irgendeiner Weise das gedruckte Werk
Rudolf Steiners oder gleichwertige Literatur geringschätzen; ihm
verdanken wir vieles oder gar alles. - Sondern bei jedem
Zusammenkommen bildet sich gewissermaßen die Gemeinschaft ganz neu.
Aus einer meditativen Stille heraus ergreift einer von uns das Wort.
Die nächsten Gesprächsbeiträge schließen sich ihm an. Jeder
Gesprächsbeitrag klingt in Ruhe nach, weil man sich wirklich zuhört
und nicht gleich den vorherigen Gedanken mit seinem eigenen Denken
überdeckt. So entsteht immer wieder ein erstaunlich ruhiger,
verbindender Gesprächsduktus. Immer ist der Sprechende der
Mittelpunkt unserer Gemeinschaft, er ist der „Leiter“.
Wir wollen es vermeiden, bereits
anderswo oder früher gedachte Gedanken oder Angelesenes
nebeneinander in den Raum zu stellen. Sondern wir versuchen aus dem
Erleben heraus zu sprechen, eigene, neue Formulierungen zu finden,
die ganz mit unserer Persönlichkeit verbunden sind. In diesem Sinne
gibt es bei uns keine falschen Aussagen, sondern nur persönliche,
und die sind immer richtig und wahr. Und das wollen wir gelten
lassen.
So bleibt es nicht aus, dass sich
unsere Herzen immer wieder berühren, dass wachsendes Vertrauen die
Atmosphäre bestimmt. Und so treten wir gelegentlich auch fühlend an
die Schwelle heran und überschreiten sie tastend, inspiriert durch
die schwesterlich-brüderliche Offenheit und Ehrlichkeit.
In der geschilderten Gesinnung ringen
wir inhaltlich und gestaltend z.B. um die Jahresfeste. Wir bewegten
uns lange rund um das Thema Doppelgänger oder Kernenergie und ihre
Folgen, gelingend und scheiternd. Außerdem betrachten wir -
Wahrnehmung und Empfindung übend - Steine, Pflanzen, Farben oder
auch Bilder.
Es war ein Wagnis, ein Experiment mit
einer Arbeit in diesem Stil zu beginnen. Wir betrachten den Versuch
als gelungen, auch wenn jedes Treffen von neuem eine Herausforderung
ist und die volle Ich-Gegenwart, die volle Ichhaftigkeit erfordert.
Aus dem Keimling ist eine kleine Pflanze geworden, die auf dem
geistigen Boden der Teilnehmer wächst und gedeiht.