Günter Röschert gibt in der gestern erwähnten Schrift Hinweise, welche Kriterien für ein wirkliches Gespräch gelten müssten (S.62f):
Das Gespräch ist das Urgeschehen der Gemeinschaft der Individualitäten.
Das bedeutet für das gelingende Forschungsgespräch:
‑ jeder Gesprächsbeitrag ist durch und durch individuell, da er aus dem frei gewollten reinen Denken stammt; er dient dem Transpersonal‑Gemeinsamen des Gesprächs: Das rein Individuelle ist das Gemeinsame.
‑ Es ist durch wahrnehmbare auditive Vorgänge getragen, seiner Wesenheit nach aber rein gedanklicher Natur. Es ist zugleich ein tatsächlicher Vorgang, eine Handlung, die auf der Einheit von Denken und Wollen beruht.
‑ Es verlangt eine intensive, gewissenhafte, individuelle Vorbereitung, die aber am besten wirkt, wenn sie nicht am vorbereiteten Menschen, sondern an den anderen Teilnehmern zum Ausdruck kommt.
‑ Es ist ein lebendiger Organismus von Geben und Nehmen. Wer spricht, nimmt die Aufmerksamkeit der Hörer in Anspruch, aber er gibt auch; wer hört, gibt sein eigenes Ausdrucksinteresse hin zugunsten des Hörens, er verzichtet so lange auf Sprechen.
- Es unterliegt keinerlei Normen, Verboten, Indices usw., es ist völlig frei. Es unterliegt seinem eigenen Logos, dem sich die Teilnehmer frei hingeben.
Bedingungen und Erfahrungen
Man könnte glauben, ein Gespräch unter Mitgliedern über einen geisteswissenschaftlichen Text Schritt für Schritt zu führen, könne doch nicht schwer sein. jeder Sprecher knüpft eben an seinen Vorredner an, dann kommt das Gespräch ganz von selbst zustande. Diese Annahme erweist sich rasch als naiver Irrtum. Es ist tatsächlich bestürzend schwer, ein der Hochschulidee gemäßes Gespräch zu führen. Gleichwohl ist Gesprächsfähigkeit eine anthropologische Veranlagung. Der werdende Mensch wächst im Gespräch, an seinen Unzulänglichkeiten vertieft sich seine Selbsterkenntnis."
In einem Forschungsgespräch der Hochschule werden Gedanken ausgetauscht, nicht nur Worte. Die wechselseitig vermittelten Gedankeninhalte werden aktuell hervorgebracht, also aktuell auch verantwortet, wodurch sich das Denkbewusstsein des Gesprächskreises bildet. Das Gespräch ist gegenseitige Hilfeleistung auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung. Nicht auf schnelle Übereinstimmung bei bekannten und eingeschliffenen Überzeugungskomplexen kommt es an im Schatten von Worten und Aussagestücken, sondern auf die ergebnisoffene Fragehaltung.
Das Gespräch ist dem Bildevorgang geschuldet, nicht den Inhalten. Es ist eine in jedem Augenblick entstehende Wesenheit, nicht die Kumulation der einzelnen Redebeiträge.