1.12.10

Anthroposophie i s t die Zukunft

Im Goetheanum Nr.48, 26.Nov.2010 schreibt Wolfgang Schad zum Thema:“Wie geht es weiter mit der Anthroposophie?“

Er stellt darin dar, dass Anthroposophie selbst schon die Zukunft ist. Es stelle sich deshalb gar nicht die Frage, ob Anthroposophie heute in ausreichendem Maße in der Welt wahrgenommen, akzeptiert oder anerkannt werde. „Was der Einzelne ins Rechte denkt, ist - weil Gedanken real sind – auf Dauer viel wirksamer, als die Sprachspiele „in“ zu sein.“

Hier kommt im Goetheanum ein Mensch zu Wort, der tiefgründig geistig zu arbeiten versteht und dadurch auch eigenständige Urteile bilden kann. Er kann sich von gängigen Meinungen lösen und sich ganz auf selbsterrungene Wahrheiten und Überzeugungen stützen.

Wenn man das Vorwort aufmerksam liest, dann kann man zwischen den Zeilen lesen, dass die Goetheanum-Redaktion sich nicht voll hinter Schads Ausführungen stellen will. Sie muss natürlich etwas gegen diesen Text haben, da ihre Politik in eine ganz andere Richtung geht. Man intendiert aktuell und modern sein zu wollen. Eine solche gründliche, lang gereifte, wirklich geisteswissenschaftliche Überzeugung muss ihr deshalb suspekt erscheinen.

Wolfgang Schad
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Es folgen einige Auszüge aus dem Text:

"Alle drei, jeden Tag" 
Wolfgang Schad

Vorwort der Redaktion (!): „Wie geht es weiter mit der Anthroposophie?" Diese Frage war zentral angesichts des bevorstehenden Jubiläumsjahres 2011 für die Herbstausgabe der „infoseiten anthroposophie“. Auch der Waldorfpädagoge und Naturwissenschaftler Wolfgang Schad wurde gebeten, sich zu der Frage zu äußern. Seine Antwort reichen wir nun im „Goetheanum“ für sich selbst stehend nach (Warum wird sie nachgereicht?), da sie grundsätzlicher Natur ist und, so hoffen wir, für weitere Gedanken und Gespräche Ausgangspunkt sein kann.(Das heißt genau genommen: Andere Artikel im Goetheanum können nicht Ausgangspunkt für weitere, eigene Gedanken sein. Damit trifft die Redaktion den Punkt: Sie sind nämlich wirklich nicht Ausgangspunkt für eigene Gedanken. Die Grundtendenz in den anderen Artikeln ist, die eigenen Gedanken und Vorurteile zu bestätigen, zu befestigen. Man schwimmt mit im "Mainstream"! Das ist wichtig! Das gibt vordergründige Befriedigung!)

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„... Die Gegenwartskultur aber kann nur gesund sein, wenn jetzt schon in ihr die künftigen Ideale und Fähigkeiten keimhaft vorhanden sind, um jetzt schon einfließen zu können, wo die Not am größten ist und danach gefragt wird. Dann stellt Steiner die nächstliegende Frage: Was ist in der heutigen fünften, nachatlantischen Kulturepoche die im Keim schon vorhandene sechste Kultur? Und gibt als Antwort: die Anthroposophie.

«Die Anthroposophie hat nicht irgendeine
Zukunft, sondern sie ist die Zukunft. »



Das heißt mit anderen Worten: Die Anthroposophie hat gar nicht die Aufgabe, jetzt schon zur allgemeinen Kultur zu werden, sondern jene, über Jahrhunderte hin die künftige Kultur vorzubereiten. Ja aber – wir haben doch auf den anthroposophischen Berufsfeldern viel öffentliche Anerkennung schon gewonnen ‑und nun das? Die Biografie Steiners selbst gibt die Antwort.

Sein hinterlassenes Werk stellt uns einen ungeheuren Umfang an Bildungsgut aus den vergangenen Kulturepochen und Weltentwicklungsepochen zur Verfügung, an dem jeder Leser gewaltig viel lernen kann. Dann gibt es den Steiner seiner Zeit, der sich zum Erschrecken der älteren Mitglieder nach dem Ersten Weltkrieg in die Tagespolitik einmischte und Volksredner ausbildete. Auf Nachfragen der Jüngeren half er sofort, die Berufsfelder der Ärzte, Pharmazeuten, Pädagogen, Heilpädagogen, Landwirte, Priester, Wirtschaftler und anderer zu erneuern. Aber das waren für ihn nur die Tochterbewegungen, die ihre Aufgaben eben ganz im Hier und jetzt haben. Seine Hauptlebensleistung aber liegt im Hereinholen der „Mutter“: Zugang zum Übersinnlichen für die Zukunft einer vor uns liegenden Kulturvision zu schaffen. Seine größte Sorge nach der Begründung der „Tochter“, war, dass die Mutter ausblutet. Wer widmete und widmet sich denn seitdem „der Förderung der Forschung auf geistigem Felde“? Darin besteht die Zukunft. Die Berufsesoterik allein reicht dafür nicht aus.
...Der Waldorflehrer hat zum Beispiel die Schätze der Vergangenheit als Kulturtechniken und Bildungsgut weiterzugeben; aber wehe, wenn es nur dabei bleibt. Jeder Tag in der Klasse mit den leibhaftigen Schülern ist das volle, unvorhersagbare Leben. Darin ist er hoffentlich ganz Zeitgenosse. Als Anthroposoph aber habe ich zugleich im Stillen an der Zukunft weiterer Jahrhunderte (nicht nur des 21.) vorbereitend mitzuarbeiten. Und das spüren sogar dankbar die Nachwachsenden als die unausgesprochenen ‚unsichtbaren Drähte’. ...

Substanzbildung von innen

Auch ich habe die Hälfte meines Lebens daran erst einmal gelitten, warum der anthroposophische Kulturraum nicht die gegenwärtige allgemeine Anerkennung findet. Es ist doch allein schon unsäglich, was jeder verpasst, der die Anthroposophie nicht im Kern kennenlernt. Bis ich bemerkte, dass dieses Leid und Mitleid sehr egoistisch ist ‑ Der eigene Astralleib möchte den Genuss der Anerkennung haben. Das echte Ich braucht sie nicht. So der innere Goethe «Die ungeheuerste Kultur, die der Mensch sich geben kann, ist die Überzeugung, dass die andern nicht danach fragen.»

Was der Einzelne ins Rechte denkt, ist ‑ weil Gedanken real sind ‑ auf Dauer viel wirksamer als die Sprachspiele, ‚in’ zu sein. Wenn Bodo von Plato derzeit beklagt: «Warum sind wir nicht öffentlich voll anerkannt, das Goetheanum ist doch so gut», so bringt das gar nichts. Auch wenn dem so wäre, brauchen wir keine Anerkennung von außen. Aller Drang, doch endlich in der ‚Mitte’ der Gesellschaft anzukommen (die ‚Mitte’ ist der Medien‑Blätterwald), führt dazu, die Anthroposophie nicht mehr als Zukunftsbewegung zu betreiben.

Die geheime Weltkultur Goethes, nach der das Goetheanum benannt worden ist, hat die Biedermeierzeit, das Zweite Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die braune Flut und die kommunistische Unkultur überlebt und wird nach einer Äußerung von Herrmann Grimm, die Steiner unterstrich, erst in 1000 Jahren voll aufblühen. Die Anthroposophie wird es in doppelt so langer Zeit. Dafür haben wir uns als Anthroposophen einzusetzen. Daran wird auch das bevorstehende Jubiläumsjahr nichts ändern können.“