4.3.10

Auf die eigenen Beine gestellt

Hat die Anthroposophische Gesellschaft ihre Selbstständigkeit errungen?


Beim heranwachsenden Menschen ist es so, dass er in seiner Kindheit, Jugend und ersten Erwachsenenzeit gewissermaßen wie getragen, gefördert ist von Jugendkräften. Eine lebendige Kraft steht hinter ihm, die ihm vieles leichter macht, ohne dass er dafür ein eigenes Verdienst in Anspruch nehmen kann. Etwa um das 30. Lebensjahr schwindet diese Kraft. Nun ist der Mensch für alles selbst verantwortlich. Er entwickelt sich ab jetzt nur weiter, wenn er dies bewusst will und mit Energie betreibt. Sonst bleibt er auf dem Entwicklungszustand, den er bis dahin erreicht hat, stehen - für den ganzen Rest seines Lebens.


Viele Menschen wissen das nicht – und merken es auch nicht. Sie meinen, dass die äußeren Lebensveränderungen, mehr Erfahrung, mehr Verdienst, mehr Ansehen, Familie, Kinder usw. ausreichend seien. Aber eine innere Entwicklung kennen sie nicht. Die Seele entleert sich mit dem Altern, sie verödet, sie sucht Ersatz und Kompensation z.B. im Reisen, Eigenheimgestaltung und Kosum.


Rudolf Steiner soll einmal davon gesprochen haben, dass ein geistiger Impuls etwa 70 Jahre wirken kann. So könnte man nun analog davon ausgehen, dass der geistige Impuls, den Rudolf Steiner in die Welt gebracht hat und den die Anthroposophische Gesellschaft in ihrem Schoß aufgenommen hat, etwa 70 Jahre wie eine Jugendkraft in der Gesellschaft wirkte. Sie entwickelte sich aus diesem Impuls heraus immer weiter, sie war beseelt und begeistet von ihm. Jugendsünden wurden überwunden und verziehen.


In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts lief diese Zeit ab. Nun mussten die Mitglieder das selbst leisten, was vorher die Gnade des geistigen Impulses Steiners bewirkt hatte. Ihr meditativ-geistiges Handwerk mussten die (führenden) Mitglieder inzwischen gelernt haben; 70 Jahre konnte die Anthrop. Gesellschaft lernen, 70 Jahre dauerten ihr Lehr- und Wanderjahre. Nun begann die Zeit der Selbstständigkeit, der „Meisterschaft“.


Hatte man sich gut vorbereitet? Hat man das geistige Handwerkszeug ausreichend errungen? Ist die Gesellschaft heute eine aus eigenen Kräften esoterisch arbeitende geworden?