16.11.10

Anthroposophische Vorträge I

Ein bestimmter Typ von anthroposophischen Reden zeichnet sich dadurch aus, dass man aus dem Werk Rudolf Steiners besonders sensationelle, mysteriöse, geheimnisvolle oder erhabene Themen auswählt.

Man spricht dann gern von Hierarchien, nennt häufig die Namen der Widersachermächte,  erwähnt  Geheimgesellschaften, Jesus Christus, den Gral, Kaspar Hauser usw. Man verbindet dann manchmal sogar das heutige Leben mit diesen großen Themen.

Man vermengt das gelegentlich auch gern mit den ganz großen „Weltkatastrophen“, wie Kriege und Umweltzerstörung usw.

Die Seelen der Zuhörer können gar nicht anders, als dass sie durch diese Begriffe wie gebannt oder, man muss wahrheitsgemäßer sagen, wie geistig-hypnotisiert werden. Redner die solche Begriffe häufiger verwenden, haben auch schnell eine deutliche kleinere oder größere Anhängerschaft; sonderbarerweise oft auch eine gewisse Gegnerschaft. Obwohl die Gegner oft gar nicht den entscheidenden Punkt erkennen, warum ihre Seelen diesen Rednern nur Widerstand leisten können. Da man meist rein sachlich dem Inhalt nur zustimmen kann. Man wird kaum eine Unrichtigkeit im Vortrag feststellen können.

Nein, die Unwahrheit liegt auf einem anderen Gebiet: Richtigkeit oder Unrichtigkeit entzieht sich dem Urteilsvermögen der Zuhörer. Und der Zuhörer mit einem gesunden Menschenverstand spürt das: Er spürt, dass der Vortragende selber die erste Hierarchie noch gar nicht erforscht hat, noch keine Begegnung mit ihr gehabt hat, dennoch spricht er über sie, als würde er sie kennen oder erkannt haben.

Dabei hat Steiner immer den allergrößten Wert darauf gelegt, dass der Mensch sein Urteilsvermögen anwenden können muss. Die Rede muss so gestaltet sein, dass der Zuhörer nichts glauben darf, sondern sein Erkenntnisvermögen soll durch den Vortrag angeregt werden.